Pro und Contra
Der Mann von der Straße:
Fragt man Personen, was sie vom BGE halten, so erhält man meist emotionale, reflexartige Antworten:
Die Neidischen: „Wieso auch die Reichen – die haben ohnedies schon genug …“
Die Besorgten: „Wer wird die unbeliebten Arbeiten verrichten?“
Die Pensionisten: „Ich habe widerwillig gearbeitet, aber es hat mir nicht geschadet – also sollen es die anderen auch tun.“
Die Anmaßenden: „Ich weiß ja, was ich tun würde, aber die anderen würden aufhören zu arbeiten und sich bloß in die Hängematte legen.“
Die Religiösen: „Ora et labora (bete und arbeite)!“ Oder: „Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brot essen.“
Die Ernstzunehmenden: „Wer soll das bezahlen?“
Letztere Frage soll der Hauptartikel beantworten.
Die Einwände der Gegner
Daniel Häni, Mit-Initiator der Schweizer Volksinitiative Für ein bedingungsloses Grundeinkommen, welche im Juni 2016 23,1 % Zustimmung fand, stellt in seinem Buch Was fehlt, wenn alles da ist (Häni 2015) 26 Befürwortern 26 Gegner gegenüber. Unter diesen Personen befinden sich unter anderem sehr bekannte Politiker und Ökonomen aus der Schweiz und Deutschland, wie zum Beispiel Angela Merkel, Thilo Sarrazin und Sahra Wagenknecht – die übrigens alle zu den Gegnern zählen.
Von den Politikern sind elf dagegen und sechs dafür, von den Ökonomen vier dagegen und drei dafür, von den Journalisten sieben dagegen und zwei dafür. Drei ablehnenden Philosophen stehen drei befürwortende Soziologen gegenüber.
In seinem Buch Basic Income and the Left (Parijs 2018) stellt Philippe Van Parijs, ein belgischer Philosoph und Ökonom, der einen Lehrstuhl für Ökonomie und Sozialethik an der Universität Louvain in Belgien leitete und als Gastprofessor an der Harvard-Universität lehrte, 16 Essays zum Thema BGE vor, wobei sechs Gegner dem politischen linken Lager zuzuschreiben sind. Die übrigen zehn Artikel widerlegen deren Einwände.
Christoph Butterwegge lässt in seinem Buch Grundeinkommen kontrovers (Butterwegge 2018) zunächst sechs Anhänger des BGE zu Wort kommen, um danach sechs Autoren als Gegnern – darunter er selbst – Raum zu bieten, um die Argumente für das BGE zu widerlegen.
Lieselotte Wohlgenannt, Sozialwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs, legt in ihrem Buch Grundeinkommen ohne Arbeit (Wohlgenannt 2016) 22 Einwände gegen das BGE vor und widerlegt diese. Viele der Einwände basieren letzten Endes auf der Finanzierung. Warum sollen Arbeitende für Arbeitsscheue bezahlen? Es wird gezeigt werden, dass das nicht der Fall sein muss.
Die Einwände der Linken beruhen hauptsächlich auf der Furcht, das BGE würde die Errungenschaften des Sozialstaates zunichtemachen. Vor allem wird das dem bekanntesten Befürworter in der Industrie, dem Drogerieketten-Inhaber Götz Werner vorgeworfen, der 2010 ein Buch über das BGE geschrieben hat: 1000 € für jeden. Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen (Werner & Goehler, 2010). Befürchtungen dieser Art sind nicht gerechtfertigt, wenn man ein Modell wählt, bei welchem zwar viele Transferleistungen, wie zum Beispiel Hartz IV, bei der Einführung des BGE gestrichen werden, nicht aber die Leistungen der Krankenkassen und – wenn auch bedingt – die Leistungen der Rentenversicherungen und der Arbeitslosenkassen.
Die Befürworter – Einzelpersonen und Organisationen
Sascha Liebermann ist Professor für Soziologie an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter. Im Jahr 2003 gründete er mit anderen die Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung und begann 2006, kurze Beiträge über das BGE zu verfassen, die er 2015 in einem Buch zusammengefasst hat: Aus dem Geist der Demokratie: Bedingungsloses Grundeinkommen (Liebermann 2015).
Richard David Precht ist ein deutscher Philosoph und Publizist sowie Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik in Berlin. Das Buch Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? von 2007 stand viele Jahre auf den Sachbuch-Bestsellerlisten. 2018 erschien sein Buch Jäger, Hirten, Kritiker, in dem er die Themen Arbeit, Industrie 4.0 und KI eingehend behandelt und das BGE vorschlägt (Precht 2018).
Yanis Varoufakis, geboren 1961 in Athen, studierte Wirtschaftsmathematik an der Universität Essex und mathematische Statistik an der Universität Birmingham. Zwischen Januar und Juli 2015 war er griechischer Finanzminister unter Premierminister Alexis Tsipras. Er trat zurück, weil er die Austeritätspolitik, die die Eurogruppe Griechenland auferlegt hatte, nicht teilte. Noch im gleichen Jahr gründete er gemeinsam mit dem kroatischen Philosophen Srećko Horvat die DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025), in deren Programm man auch Die Einführung des BGE findet. Sein Buch Time for Change – Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre (Varoufakis 2015) räumt mit der Behauptung auf, Wirtschaft und Finanzpolitik wären zu komplexe Themen, um von den Bürgern verstanden zu werden.
Andrew Yang, geboren 1975 als Sohn taiwanesischer Immigranten, studierte Ökonomie an der Brown University in Rhode Island und Juridik an der Columbia Law School. Im Jahr 2011 gründete er die gemeinnützige Organisation VFA (Venture for America) mit dem Ziel, die besten Hochschulabsolventen der Nation Zu Unternehmern auszubilden. Ende 2017 trug er sich bei der Federal Election Commission, der US-amerikanischen Wahlbehörde, als Präsidentschaftskandidat für die Wahl 2020 ein. Er befürwortet die Einführung einer CO2-Steuer, der staatlichen Krankenversicherung und vor allem des Universal Basic Income (UBI), welches er Freedom Dividend (Freiheitsdividende) nennt und das 1000 US$ monatlich ausmachen soll.
Facebook-Chef Mark Zuckerberg und der Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk unterstützen ihn.
Philippe Van Parijs gründete 1986 das BIEN (Basic Income Earth Network) und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Netzwerk Grundeinkommen, der deutschen Organisation im BIEN. Er ist Autor bzw. Herausgeber von fünf Büchern über das BGE und andere ethische Reformen. Im Jahr 2001 erhielt er den Francqui-Preis, die höchste belgische akademische Auszeichnung.
Die Organisation BIEN wurde 2017 als Dachorganisation von über 30 nationalen Gruppen gegründet, die zum Teil seit Ende des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern existieren. In Deutschland gibt es seit 2004 das Netzwerk Grundeinkommen, in Österreich seit 2002 das Netzwerk: Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt, B.I.E.N. Austria sowie Generation Grundeinkommen und in der Schweiz seit 2001 die B.I.E.N. – CH, Das schweizerische Grundeinkommens-Netzwerk sowie Grundeinkommen.
In Schweden trat die Partei Basinkomstpartiet im Jahr 2018 bei den Reichstagswahlen an und erhielt 1 % der Stimmen. In einigen Ländern Europas existieren Piratenparteien. Sie befürworten das BGE. In Deutschland gelang es der Piratenpartei im Mai 2019, einen Sitz im Europaparlament zu erringen, in Tschechien waren es drei Sitze.
Im Juni 2016 fand in der Schweiz eine Volksabstimmung zur Einführung des BGE statt. Schweizweit haben 23,1 % der Teilnehmer der Vorlage zugestimmt. Im Kanton Basel Stadt waren 36 % dafür, in einigen Städten fanden sich sogar Mehrheiten.
Literatur:
Butterwegge C, Rinke K (2018): Grundeinkommen kontrovers – Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell; Beltz Juventa, Weinheim
Häni D, Kovce P (2015): Was fehlt, wenn alles da ist? – Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt; Orell Füssli, Zürich
Liebermann S (2015): Aus dem Geist der Demokratie: Bedingungsloses Grundeinkommen; Humanities Online, Frankfurt a. M.
Precht RD (2018) Jäger, Hirten, Kritiker – Eine Utopie für eine digitale Gesellschaft; Goldmann, München
Van Parijs P (Hrsg) (2018): Basic income and the left – a European debate; Social Europe Edition, London
Varoufakis Y (2015): Time for Change – Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre; Hanser, München (griech. orig. 2014)
Werner G, Goehler E (2010): 1000€ für jeden – Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen; Econ, Berlin
Anmerkung:
Große Teile des Textes sind meinem Buch Zirkulares Grundeinkommen und Nullzinspolitik entnommen.